"Ein bissl ein Trottel muss man schon sein, dass man sich das antut", sagt Hannes Koza. Er ist der Trottel in diesem Satz. Denn in den letzten Tagen des Wahlkampfes wird es schon zäh für den Bürgermeister von Vösendorf. Der Ton ist rau geworden im Ort, die Opposition lässt kein gutes Haar an ihm, auf Facebook wird ohnehin längst ohne jegliche Hemmungen gepostet. Und das alles nur wegen dieser blöden Geschichte mit der gefälschten Rechnung.

Koza steht vor der Billa-Filiale in dem hübschen Dorf, das im Rest des Landes nur wegen der Shopping-City und des Autobahnknotens bekannt ist. Der Mittvierziger kann keinen Satz sprechen, ohne die Hand zum Gruß zu heben. Leute rufen ihm "Hallo, Herr Bürgermeister" zu, winken ihm vom Fahrrad aus oder hupen ihn im Vorbeifahren an. "Viel Glück, meine Stimme hast du!", sagt ein Jogger en passant und klatscht den Bürgermeister ab.

Hannes Koza weiß, wie Wahlkampf geht. Vor vier Jahren eroberte er das tiefrote Vösendorf, nun will er es behalten.
Regine Hendrich

"Rein rechtliche" Straftat

Wer Koza an einem Wahlkampf-Nachmittag begleitet, kann den Eindruck gewinnen: Seine mutmaßliche Straftat interessiere hier niemanden. Koza glaubt das auch. Er erzählt, die Leute sagen eher so etwas wie: "Echt jetzt, wegen 1100 Euro gehen s’ dir am Oasch?"

Es stimmt schon, sagt der Bürgermeister, "rein rechtlich" war es Dokumentenfälschung, als er nach einem verlorenen Rechtsstreit rund um einen Tweet die Rechnung des gegnerischen Anwalts so verändert hat, dass sie vom Feuerwehr-Konto der Gemeinde bezahlt werden konnte. Aber er habe ja keinen bösen Gedanken dabei gehabt – und die Gemeinde hätte die Kosten, eben 1100 Euro, ja ohnehin übernommen, glaubt Koza. Das Strafverfahren gegen ihn wurde gegen eine Geldzahlung eingestellt.

Koza radelt durch Vösendorf mit Wahlzuckerl im Gepäck.
Regine Hendrich

Aber das interessiere nur die Wiener Medienblase. In Vösendorf nehme er eher eine "Jetzt-erst-recht-Stimmung" wahr. "War das notwendig? Du bist ein schöner Trottel", würden manche sagen, "aber das war’s dann auch." Doch politisch explodierte die Sache, Koza kündigte in einer "persönlichen Erklärung" im Jänner nicht seinen Rücktritt an – sondern Neuwahlen. Alle ÖVP-Gemeinderäte legten ihr Mandat zurück, machten das Gremium beschlussunfähig und sorgten so dafür, dass Vösendorf am Sonntag einen neuen Gemeinderat wählt.

Rote Zuversicht

Für Alfred Strohmayer geht es ums Eingemachte: Sein Job ist es, mit der SPÖ am 5. Mai den ersten Platz zu holen, eine Koalition gegen die ÖVP zu bilden und damit Koza vom Thron zu stoßen. Für die Roten geht es auch darum, nach jahrzehntelanger SPÖ-Herrschaft in Vösendorf den Ist-Zustand nach einer schwarzen Legislaturperiode wieder herzustellen – Koza war der erste ÖVP-Bürgermeister in der SCS-Stadt.

Der Fackelzug der Sozialdemokraten soll die Vösendorfer wenige Tage vor dem Wahlsonntag nochmals daran erinnern, für Strohmayer zu stimmen. Über hundert Menschen versammeln sich entlang der Ortsstraße, viele in roter Bekleidung und mit Fackel in der Hand. "Hallo, Herr Bürgermeister", begrüßt ein Mann Strohmayer, der sich in Trachtenanzug mit Trompete in der Hand auf den Marsch mit der Musikkapelle vorbereitet. Seit vier Jahren spiele Strohmayer bereits in der Kapelle, "nicht erst seit dem Wahlkampf", scherzt er.

Die SPÖ Vösendorf zog am 30. April durch Vösendorfs Straßen.
Regine Hendrich

Ganz so optimistisch zeigt sich ein anderer SPÖ-Funktionär nicht. "Wir hoffen natürlich auf einen Zugewinn, aber es wird nicht leicht", erzählt er. Seit 30 Jahren mache er bereits Wahlkampf für die SPÖ, "aber so einen schmutzigen Wahlkampf habe ich noch nie erlebt".

Viele Vösendorferinnen und Vösendorfer beim Fackelzug sehen das ähnlich. Auf die Frage, was sie sich vom Wahlausgang erwarten, kommt oftmals einfach die Antwort: Hauptsache, nach dem 5. Mai sei das alles vorbei. Die Sorge vieler Einwohner ist groß, dass das Gesprächsklima nach der Wahl in der Gemeinde nicht besser wird. "Es wird sehr schwer, dass die Parteien wieder zu Gesprächen finden", fürchtet eine Vösendorferin.

Man sei aber sicher, dass eine Koalition nach der Wahl zustande kommen kann, sagt Strohmayer – nur mit der ÖVP werde es wahrscheinlich nicht mehr funktionieren. "Wir suchen aber natürlich das Gespräch mit allen Parteien", erklärt Strohmayer.

Alfred Strohmayer (in der Mitte mit Mikrofon) will neuer Bürgermeister werden.
Regine Hendrich

Während die Blasmusikkapelle laut ihre Töne spielt und den Fackelzug anführt, blicken immer wieder Schaulustige aus ihren Häusern in Richtung Ortsstraße. Feuerwehrleute sind intensiv damit beschäftigt, abgebrannte Fackeln zu löschen – Eltern müssen regelmäßig ihre Kinder ermahnen, die Fackel nicht zu dicht an den Vordermann zu halten. Fahnen mit den drei Pfeilen der Sozialdemokratie werden hochgehalten.

Über Koza spricht man hier auf dem Fackelzug nicht gern. Entweder aus Zurückhaltung oder wegen gelebter Abneigung. "Zum Koza sage ich nichts", hält sich etwa eine junge Vösendorferin bedeckt. Vor dem Schloss, in dem Koza sein Bürgermeisterbüro hat, bleibt der Zug schließlich stehen – Strohmayer ergreift das Wort. "Jedes Licht, das heute brennt, ist eine Hoffnung für Vösendorf. Das Experiment Koza ist hiermit beendet." Die Menge jubelt, als hätte die SPÖ die Wahl bereits gewonnen.

Den Fackelzug veranstaltet die SPÖ in Vösendorf jedes Jahr.
Regine Hendrich

Blauer Corona-Stammtisch

Im Gasthof Weinknecht herrscht Hochbetrieb. Es ist laut, und der Kellner hat alle Mühe, die Gäste mit Bierkrügen und Schnitzeln zu versorgen. Nur im Hinterzimmer des Lokals ist es ruhiger. Zehn Minuten vor dem geplanten Start des Corona-Stammtischs der FPÖ bleibt die Hälfte der Tische leer. Und auch der Stargast des Abends fehlt noch: Der blaue Landesrat Christoph Luisser verantwortet den umstrittenen Corona-Fonds in Niederösterreich – und soll auch dafür sorgen, dass die Vösendorfer Corona-Skeptiker wissen, wen sie am Sonntag wählen.

Die FPÖ hofft darauf, mehr als nur ein Mandat zu gewinnen.
Regine Hendrich

Unter den rund 30 Gästen macht sich Ungeduld breit, ihre Blicke wandern immer wieder zur Tür. "Mehr werden’s nicht mehr", ist da an einem Tisch zu hören. "Wär’ der Kickl hier, wären auch mehr Leute da", meint wiederum eine ältere Frau. Die Vösendorfer FPÖ-Spitzenkandidatin Kerstin Liebl ist derweil in ein Gespräch mit einem potenziellen Wähler vertieft: Er sei nicht geimpft, erklärt ihr der Mann.

Tatsächlich kommen noch eine Handvoll Personen mit Bier in der Hand in den Raum und setzen sich. Wenige Augenblicke später betritt auch Luisser den Raum und schüttelt allen Anwesenden die Hand. Mit einer halben Stunde Verspätung ergreift Liebl das Wort, sie stellt sich in die Mitte des Raums.

Mit Angriffen gegen Koza hält sich die Juristin zurück – die anderen Parteien entdeckten nun, "dass die FPÖ-Themen gar nicht so schlecht sind". Die Chance sei nun größer denn je, dass die FPÖ in Vösendorf ein gutes Ergebnis erzielen werde. Aktuell halten die Freiheitlichen bei einem Mandat. Liebls großer Auftritt geht nach nicht einmal fünf Minuten wieder zu Ende. Sie macht Platz für Luisser, der den Anwesenden die "erfolgreiche Politik" der FPÖ in Niederösterreich näherbringen soll.

"Sie haben uns eingesperrt, drangsaliert und den Kindern das soziale Leben verboten", meint Luisser. "Wo Long-Covid gesagt wird, steckt oftmals Long-Impfung dahinter", spielt der Landesrat auf angebliche Impfschäden an. Das alles geht einigen Anwesenden aber nicht weit genug.

Kein Wort Vösendorf

"Die Sklavenmaske haben Sie vergessen!", ruft plötzlich ein Mann dazwischen. Für Fragen gebe es nachher genügend Zeit, versucht ein FPÖ-Sprecher den Mann zu beruhigen. Doch Luisser wird in seinen Ausführungen immer wieder unterbrochen. "Es gibt keinen Rechtsstaat mehr!" und "Der Fonds wird ja auch nichts bringen!", rufen andere Personen dazwischen. Die FPÖ-Riege droht, die Veranstaltung vorzeitig zu beenden, falls weiter dazwischengerufen wird – aber Luisser will sich den Konfrontationen stellen.

Eine Frau erzählt, dass sie Corona-Strafen in Höhe von mehreren Tausend Euro bezahlen musste. Die Strafen hat sie in Papierform auch ins Gasthaus mitgebracht: Sie hält vor allen Anwesenden einen durchsichtigen Container in die Höhe, der prall gefühlt mit Zetteln ist. "Warum helft ihr uns nicht?", schreit sie in Richtung Luisser. Dieser spricht davon, dass die FPÖ alle Möglichkeiten ausschöpfe, die ihr laut Verfassung zur Verfügung stünden. Wenig später verlässt die Frau mit ihren Kindern sichtbar frustriert den Raum. Liebl spricht kein Wort mehr über die Vösendorfer Gemeindepolitik.

Schluss mit Protest

Peter Meisinger will die Tage des Protests hinter sich lassen. Im Schlosscafé bietet er Punschkrapferln mit dem V2000-Logo an. V2000? Das ist eine Bürgerliste, die sich 1989 als Gegen-alles-Partei gegründet hat. Zu einer Zeit, als das Jahr 2000 noch einen futuristischen Klang hatte. Jetzt wirkt der Name der Partei zwar retro, aber ihre Politik sei "erwachsen geworden", behauptet Meisinger vor den rund 50 Anhängerinnen und Anhängern, die zur Wahlkampfveranstaltung ins Kaffeehaus im Schloss gekommen sind. Soll heißen: V2000 sei bereit für den Gang in die Regierung.

Peter Meisinger will mit Punschkrapferl Wählerinnen überzeugen.
Regine Hendrich

Aber nicht um jeden Preis. Sollte das Rennen um Platz eins wieder knapp werden – 2020 lagen ÖVP und SPÖ nur neun Stimmen auseinander – könnte V2000 eine entscheidende Rolle zukommen. "Wir sind kein Appetithappen", sagt Meisinger mit dem Selbstbewusstsein des Versicherungsvertreters, der er tatsächlich ist.

Im Gespräch mit einer Unterstützerin sagt er das Gleiche, nur derber: Die Frau hat nämlich von SPÖ-Chef Strohmayer gehört, dass dieser Meisinger fix zum Vizebürgermeister machen wolle. Dessen deftige Replik: "Sag’ dem Alfred einen schönen Gruß, aber ich bin nicht seine Nutte."

Peter Meisinger im Gespräch mit potenziellen Wählerinnen und Wählern.
Regine Hendrich

Grüner Respekt

Peter Köck ist ein ausgesprochen höflicher Mensch, und er kennt auch die Hausbesuchsetikette im Wahlkampf in- und auswendig. Nicht nach 20 Uhr anläuten, Respektabstand halten und "ins Haus gehen ist ein No-Go", erklärt der Spitzenkandidat der Grünen. Dabei würden ihm die Leute hier in der Seepark-Siedlung einiges verzeihen: Hier wählt jeder Fünfte grün, Köck wohnt selbst hier, die Leute kennen ihn.

Eine seiner Nachbarinnen ist beim Hausbesuch ganz auf Linie: "Bodenversiegelung und Leerstand" seien ihre wichtigsten kommunalpolitischen Anliegen. Und dass in Vösendorf noch immer zwei Auto-Stellplätze pro neu errichtete Wohnung gebaut werden müssen, verstehe sie nicht. Solche Dinge zu verändern sei hier schwierig, sagt Köck bedauernd: "Vösendorf ist eine Autofahrergemeinde."

Peter Köck brachte die grünen Wahlgeschenke direkt ins Haus.
Regine Hendrich

Die Grünen haben sich aus dem Streit um Kozas gefälschte Rechnung weitgehend rausgehalten, das werde honoriert, sagt der Spitzenkandidat. Drei Monate Wahlkampf, die Leute haben es satt. Das gilt auch für die nächste Nachbarin, die Köck die Tür öffnet. "Du weißt eh, wir stehen für Transparenz und Kontrolle – das können wir ja gerade gut brauchen", sagt Köck zu ihr. Die Frau schnaubt nur zustimmend. "Ich bin froh, dass ich bald auf Urlaub fahre und davon nichts mehr mitbekomme."

Stolz auf Errungenschaften

Koza kann nicht anders. Er muss beim Spaziergang durch Vösendorf seine Errungenschaften loben. Der Schlossgarten sei unter den Roten noch eine "G’stätten" gewesen, heute zeigt er sich gepflegt und schön. Im Stadl hinter dem Schloss gibt es nun einen wetterfesten Markt mit regionalem Angebot.

Das mag alles sehr fein sein – aber auch teuer. Das kritisieren die Prüferinnen und Prüfer des Landes Niederösterreich. Koza veröffentlichte am Dienstag den Bericht der Gemeindeaufsicht.

Wochenlang hat sie auf Antrag von SPÖ und Neos im Landtag die Gemeinde geprüft. Und einiges gefunden. Vösendorf lebte unter Koza auf zu großem Fuß, sie hat zu viele freiwillige Leistungen erbracht. Koza sagt: "Wir waren zu sozial." Jetzt steht ein Sparkurs an.

Auch vor dem Vösendorfer Schlossheurigen wird kräftig für den Bürgermeister geworben.
Regine Hendrich

In der Sache mit der Rechnungsfälschung sieht sich der Bürgermeister freigesprochen – denn das Land hat keine weiteren manipulierten Belege gefunden. Was jedoch bei der Prüfung aufgetaucht ist: nicht nachvollziehbare Wirtshaus-Ausgaben, Kilometergeld ohne Erklärung, ein um 200 Euro zu hohes Bürgermeistergehalt. Und Rechnungen seiner Frau, die Koza nicht hätte gegenzeichnen dürfen – das aber trotzdem getan hat. Der Bürgermeister räumt die Fehler ein, er werde künftig besser aufpassen.

Wenn er denn weiter Bürgermeister bleibt. Aber Koza hat schon lange einen Masterplan, wie er wieder Bürgermeister werden will: "Ich bin ein emsiger Mensch", sagt er. Deshalb hat er im Vorjahr, beim Heilfasten im Waldviertel, schon einen Wahlkampfplan für das gesamte Jahr 2024 geschmiedet. Regulär würde Vösendorfs Gemeinderat ja gemeinsam mit dem Rest Niederösterreichs im Jänner 2025 wählen.

Aber dann flog die Sache mit der gefälschten Rechnung auf, und Koza reagierte schnell. Noch in derselben Woche fasste er den Entschluss, Neuwahlen zu erzwingen. Die ÖVP regierte damals mit einer Minderheit im freien Spiel der Kräfte, da ging nun nichts mehr weiter.

Taktisch sei ihm eine frühere Wahl sowieso gelegen gekommen, erklärt Koza offen: Seinen Jahres-Wahlkampf-Plan habe er auf wenige Wochen eindampfen "und damit alle anderen überfahren" können. Nach Europa- und Nationalratswahlen könnte die Stimmung schlecht sein. Und im Sommer stehen einige Bauarbeiten an, "das hätt’ ich nicht brauchen können".

Immer ein Lächeln im Gesicht: Für Koza zählt der Wahlkampf dieser Tage zum Alltag.
Regine Hendrich

"Alles wird gut"

Doch ist das legitim, aus taktischen Überlegungen den Gemeinderat zu sprengen? Koza zuckt mit den Schultern. "Es gibt halt keine andere Art, eine Neuwahl herbeizuführen." Eine ältere Dame herzt den Bürgermeister, als er ÖVP-Broschüren und Manner-Schnitten verteilt. "So schön wie jetzt war’s in Vösendorf noch nie. Ich hoff’, es bleibt so!", sagt sie. Koza antwortet: "Alles wird gut."

Als die Frau weg ist, fragen wir Koza: Wird wirklich alles gut? Wieder zuckt er mit den Schultern, lächelt und sagt: "Ich red’s mir halt ein." (Sebastian Fellner, Max Stepan, 5.5.2024)